Probleme in der Partnerschaft hypnosystemisch utilisieren
Wie Beziehungskrisen zu Ressourcen für Entwicklung und Wachstum werden können
Partnerschaftliche Probleme werden häufig als Störung erlebt: etwas, das möglichst schnell gelöst, reduziert oder beseitigt werden soll. Streit, Rückzug, Eifersucht oder emotionale Distanz gelten als Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Der hypnosystemische Ansatz bietet hier eine erfrischend andere Perspektive:
Probleme sind keine Defekte – sie sind sinnvolle Reaktionen eines Beziehungssystems.
In diesem Artikel zeige ich, wie sich Probleme in der Partnerschaft hypnosystemisch utilisieren lassen – also so nutzen, dass sie zu Entwicklung, Verbundenheit und Selbstwirksamkeit beitragen, statt die Beziehung weiter zu belasten.

1. Der hypnosystemische Blick auf Partnerschaft
Der hypnosystemische Ansatz (maßgeblich geprägt von Gunther Schmidt, inspiriert von Milton Erickson und systemischer Therapie) verbindet zwei Grundannahmen:
- Systemisch: Verhalten entsteht immer im Kontext von Beziehungen und Wechselwirkungen.
- Hypnotherapeutisch: Aufmerksamkeit, innere Bilder, Körperzustände und unbewusste Prozesse steuern unser Erleben stärker als bewusste Einsicht.
Für Partnerschaften bedeutet das:
Konflikte sind keine individuellen Fehler, sondern
Ko-Regulationsmuster eines Beziehungssystems.
2. Was bedeutet „Utilisation“?
„Utilisation“ stammt aus der ericksonschen Hypnotherapie und meint: Alles, was da ist, wird genutzt – nichts wird bekämpft.
Übertragen auf Partnerschaftsprobleme heißt das:
- Das Problem wird nicht pathologisiert
- Es wird als kompetenter Lösungsversuch verstanden
- Seine Funktion wird erforscht und nutzbar gemacht
Ein Streit, ein Rückzug oder eine Eskalation sind also kein Zeichen von Beziehungsunfähigkeit, sondern der Hinweis: Hier versucht etwas Wichtiges, gehört zu werden.
3. Probleme würdigen statt bekämpfen
Ein zentraler hypnosystemischer Schritt ist die Würdigung des Problems.
Statt:
- „Wir streiten ständig, das zerstört alles.“
ist eine hypnosystemische Haltung:
- „Euer System reagiert sehr schnell, wenn etwas Wichtiges bedroht ist.“
Diese Haltung verändert sofort die innere Dynamik:
- Schuld weicht Neugier
- Abwehr weicht Selbstbeobachtung
- Kampf weicht Kooperation
Das Problem wird nicht gutgeheißen, aber respektiert.
4. Die positive Absicht des Problems erkennen
Jedes wiederkehrende Beziehungsmuster erfüllt – bewusst oder unbewusst – eine schützende oder regulierende Funktion und steht damit für anerkennenswerte Bedürfnisse.
Typische hypnosystemische Fragen sind:
- „Wovor schützt euch dieses Muster?“
- „Was würde fehlen, wenn dieses Problem plötzlich weg wäre?“
- „Was versucht dieses Verhalten zu sichern?“
Beispiele aus der Praxis:
- Rückzug → Schutz vor Überforderung oder emotionaler Verletzung
- Eifersucht → Sicherung von Bindung und Bedeutung
- Kontrolle → Herstellung von Sicherheit
- Anpassung → Erhalt von Beziehung und Harmonie
- Wut → Abgrenzung, Selbstbehauptung
Das Problem wird damit aus einer biografischen Perspektive verständlich – selbst wenn es heute nicht mehr hilfreich ist.
Video mit Gunther Schmidt: Die Partner:in ändern - wofür?
Gunther Schmidt, Begründer des hypnosystemischen Ansatzes, äußert sich sehr klar und zugleich wertschätzend zum Thema „den Partner ändern wollen“. Seine Haltung ist dabei weder resignierend noch belehrend, sondern konsequent beziehungs- und lösungsorientiert.
5. Externalisieren: Das Paar und das Muster
Ein weiterer zentraler Schritt ist die Externalisierung:
Das Problem ist nicht eine Person – es ist ein Muster, das beide beeinflusst.
Statt:
- „Du bist immer so kalt.“
- „Du bist zu emotional.“
Wird gesprochen von:
- „Der Nähe-Distanz-Regulierung“ (bezogene Individuation nach Helm Stierlin)
- „Der innere Alarm“
- „Das Eskalationsprogramm“
Das hat tiefgreifende Wirkungen:
- Das Paar verbünden sich und utilisieren das Muster
- Schuldzuweisungen nehmen ab
- Veränderung wird ein gemeinsames Projekt
6. Arbeit mit Aufmerksamkeit und Trancephänomenen
Hypnosystemisch bedeutet nicht zwangsläufig formale Hypnose. Vielmehr geht es um gezielte Aufmerksamkeitslenkung.
Beispiele:
- Fokus auf
Ausnahmen:
„Wann ist dieses Problem weniger stark – und was ist dann anders?“ - Körperorientierte Wahrnehmung:
„Wo im Körper merkst du, dass dieses Muster gerade aktiviert wird?“ - Zeitliche Distanz:
„Wann hat dieses Verhalten euch früher einmal gut gedient?“
Dadurch wird das Muster:
- bewusster
- langsamer
- steuerbarer
Automatik wird zu Wahlmöglichkeit.
7. Ressourcen im Problem entdecken
Hypnosystemisch wird gefragt: Welche Kompetenz zeigt sich hier – nur in einer übersteigerten Form? So kann etwa Misstrauen nach Fremdgehen zur gesunden Wachsamkeit im Dienste der Partnerschaft reframed werden. Oder hinter dem Mauern und Rückzug wird das Bedürfnis nach Zeit, Raum und Selbstregulierung geborgen.
Diese Ressourcen können dann bewusst eingeladen werden.
8. Neue Wahlmöglichkeiten statt Problembeseitigung
Der hypnosystemische Ansatz zielt nicht darauf ab, ein Verhalten „abzuschaffen“, sondern Handlungsspielräume zu erweitern.
Typische Interventionen:
- „Du kannst dieses Muster weiterhin nutzen – und zusätzlich eine zweite Möglichkeit entwickeln.“
- „Was wäre eine 5-%-Version dieses Verhaltens, die euch beiden besser dient?“
- „Woran würdet ihr merken, dass euer System flexibler geworden ist?“
Schon kleine Verschiebungen verändern die Beziehungsdynamik oft deutlich.
9. Ein kurzes Fallbeispiel
Ein Paar berichtet über häufige, heftige Streitigkeiten.
Hypnosystemische Re-Framing könnte dann lauten: „Euer System reagiert sehr schnell, wenn Nähe oder Wertschätzung bedroht sind. Diese Geschwindigkeit zeigt, wie wichtig euch eure Beziehung ist.“
Utilisation:
- Der Streit wird als Bedürfnis nach Bindung verstanden
- Die Energie dahinter wird genutzt, um mehr Achtsamkeit für anerkennenswerte Bedürfnisse zu entwickeln
- Eskalation wird nicht verboten, sondern ersetzt durch frühere Intervention
Das Problem verliert seine destruktive Macht, ohne bekämpft zu werden.
10. Fazit: Probleme als Entwicklungshelfer
Hypnosystemische Utilisation in der Partnerschaft bedeutet:
- Probleme sind sinnvolle Versuche, mit Beziehung umzugehen
- Muster entstehen aus Schutz, nicht aus Bosheit
- Veränderung geschieht durch Würdigung, Bewusstheit und Wahlfreiheit
- Beziehung wird nicht repariert, sondern weiterentwickelt
Oder anders gesagt: Das Problem ist nicht das Ende der Beziehung – oft ist es der Anfang eines tieferen Verständnisses.
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