Bindungstrauma: Trennung nach Verliebtheit
Warum traumatisierte Menschen Partnerschaften oft beenden, wenn sie nicht mehr verliebt sind
Viele Beziehungen enden abrupt, nämlich in dem Moment, in dem das intensive Verliebtsein nachlässt. Für Menschen mit gesunden Bindungsmustern beginnt hier eine ruhigere, stillere, tiefere Form von Verbundenheit. Für andere – insbesondere für Menschen mit traumatischen Erfahrungen auf der Bindungsebene – entsteht genau jetzt innere Unsicherheit, emotionale Distanz und nicht selten der Impuls nach Trennung.
Dieses Muster wird häufig missverstanden. Es wird als Bindungsunfähigkeit, Beziehungsunreife oder fehlende Liebe interpretiert. Tatsächlich handelt es sich jedoch oft um eine tief verankerte Schutzreaktion des Nervensystems, die wir durch Selbstregulierung ändern können.
Lesen Sie in diesem Beitrag, warum sich Personen mit Bindungstrauma nach der Phase der euphorischen Verliebtheit oft viel zu vorschnell trennen. Eine Trennung ist dann Symptom eines dysregulierten Nervensystems.

Podcast von Dami Charf: "Der Drama-Kreislauf – die versteckte Wirkung von Trauma"
Die renommierte Traumatherapeutin Dami Charf betont, dass viele Menschen Trauma-Aktivierung mit Liebe oder Leidenschaft verwechseln. Doch starke Gefühle bedeuten aus einer traumasensiblen Perspektive nicht automatisch gesunde Bindung. Tiefe, sichere Verbindung fühlt sich für traumatisierte Nervensysteme oft langweilig, bedrohlich oder ungewohnt an.
Bindungstrauma verändert paartnerschaftliche Beziehungsmuster
Trauma ist nicht nur eine Erinnerung an Vergangenes. Es ist eine anhaltende Prägung des Autonomen Nervensystems, die beeinflusst, wie Nähe, Vertrauen und emotionale Verbundenheit erlebt werden.
Menschen mit Beziehungstrauma, Entwicklungs- oder Bindungstrauma haben häufig gelernt:
- Nähe ist unberechenbar
- Bindung kann schmerzhaft sein
- jemanden auf gesunde Weise zu brauchen bedeutet Gefahr
Diese Lernerfahrungen wirken meist unbewusst – gerade dann, wenn eine Beziehung beginnt, emotional bedeutsam zu werden.
Die Verliebtheitsphase als scheinbare Stabilisierung des Nervensystems
Die Anfangsphase einer Beziehung ist neurobiologisch geprägt von intensiver Ausschüttung von Dopamin, Oxytocin und Noradrenalin. Diese Stoffe erzeugen:
- Euphorie
- emotionale Pseudoverbundenheit
- Fokus auf den Partner
- eine gedämpfte Wahrnehmung von Angst
Für traumatisierte Menschen kann diese Phase eine seltene Erfahrung sein: emotionale Nähe ohne spürbare Bedrohung. Alte Ängste treten in den Hintergrund, innere Leere fühlt sich gefüllt an, Beziehung scheint mühelos.
Die Verliebtheit übernimmt damit eine regulierende Funktion – sie stabilisiert ein dysreguliertes Nervensystem, das sonst leicht in Alarmzustände gerät.
Wenn die Verliebtheit endet, beginnt die Herausforderung
Mit der Zeit normalisiert sich dieser hormonelle Ausnahmezustand. Die Beziehung wird alltäglicher, realistischer und emotional tiefer. Genau hier beginnt für viele traumatisierte Menschen der innere Konflikt.
Denn ohne den "Schutz" der Verliebtheit tauchen wieder auf:
- diffuse Angst
- innere Unruhe
- emotionale Taubheit
- Zweifel an den eigenen Gefühlen
Diese Reaktionen werden oft fehlinterpretiert. Statt als Stressreaktion erkannt zu werden, erscheinen sie als Beweis, dass die andere Person wohl nicht mehr geliebt werde.
Podcast von Verena König: "Wenn Gefühle erlöschen - Beziehungsdynamiken bei frühem Trauma"
Für die Traumatherapeutin Verena König bedeutet Traumaintegration:
- das Drama nicht bekämpfen, sondern verstehen
- Reaktionen verlangsamen
- den Körper mitnehmen
- innere Sicherheit aufbauen
Wenn das gelingt:
- werden Beziehungen ruhiger
- werden Konflikte lösbarer
- wird Nähe weniger bedrohlich
- wird Intensität durch
Tiefe ersetzt
Nähe aktiviert alte Verletzungen
Je stabiler und verbindlicher eine Beziehung wird, desto stärker kann sie alte Bindungsverletzungen aktivieren. Nähe bedeutet:
- gesehen zu werden
- verletzlich zu sein
- Erwartungen zu spüren
- emotional erreichbar zu bleiben
Für ein traumatisiertes Nervensystem kann das überwältigend sein. Alte Erfahrungen von Zurückweisung, Überforderung oder emotionaler Vernachlässigung werden reaktiviert – nicht als Erinnerung, sondern als Gefühl im Hier und Jetzt. Der Körper reagiert, als stünde erneut Gefahr bevor und fühlt sich massiv bedroht.
Ruhe fühlt sich nicht sicher an
Ein zentrales Thema ist die Fehlinterpretation von emotionaler Ruhe. Viele traumatisierte Menschen sind mit Stress, emotionalem Auf und Ab oder unberechenbarer aufgezwungener Nähe (oder Distanz) aufgewachsen. Ihr Nervensystem ist an Aktivierung, Disregulierung und hohe Ausschläge gewöhnt.
Wenn Beziehungen ruhig, stabil und konfliktarm werden, dann entsteht paradoxerweise kein Gefühl von Verbundenheit und tiefgehender Sicherheit, sondern:
- Leere
- Langeweile
- Unsicherheit
- innere Spaltung
- Dissoziation
Das Nervensystem fragt nicht: Ist das gesund?
Es fragt: Ist das vertraut?
Und Vertrautheit wird oft mit Intensität und Drama verwechselt.
Liebe wird mit Aufregung und Drama gleichgesetzt
In der Verliebtheitsphase fühlt sich alles intensiv, dringend und überwältigend an. Zudem kann die Ausschüttung von Cortisol, Adrenalin und Glückshormonen, die wir in der Verliebtheit erleben, süchtig machen ("Drama-Sucht"). Menschen, die typische Bindungstraumasymptome zeigen, interpretieren diese Intensität als einzigen Beweis für echte Verbindung.
Wenn diese Intensität nachlässt, entsteht der Eindruck:
- "Etwas fehlt."
- "Ich fühle nicht mehr genug."
- "So sollte wahre Liebe nicht sein."
Dabei wird übersehen, dass reife Bindung nicht durch ständige emotionale Hochs und Dramen, sondern durch Verlässlichkeit, Vertrauen und Sicherheit gekennzeichnet ist. Letzterem haftet etwas Ruhiges, Beständiges und Stilles an, wie glühende Kohle anstelle eines Strohfeuers.
Bindungsstile und das Abschalten des Bindungssystems und der Emotionen
Viele traumatisierte Menschen entwickeln einen vermeidenden, ambivalenten oder desorganisierten Bindungsstil. Sobald Nähe zu tief
- schaltet das Nervensystem auf Distanz, d.h. auch Emotionen der Liebe und Zuneigung werden dann nicht mehr gespürt, sondern dissoziiert
- werden Gefühle unbewusst gedämpft oder betäubt
- kreisen Gedanken um Rückzug, sich Trennen
- wird gegrübelt, ob man noch genung Liebe fühlt und ob die Beziehung absolut passt
Typische innere Reaktionen sind:
- emotionale Taubheit
- Aufmerksamkeitsfokussierung auf vermeintliche Fehler und Macken des Partners (die dann immer gefunden werden)
- plötzlicher Wunsch nach Freiheit
Das ist keine bewusste Entscheidung gegen die Beziehung, sondern ein automatisierter Selbstschutzmechanismus.
Die Trennung als scheinbare Lösung
In diesem Zustand erscheint Trennung oft als einzig gangbarer Weg. Sie verspricht:
- Entlastung
- Kontrolle
- emotionale Beruhigung
Kurzfristig tritt diese Erleichterung meist tatsächlich ein – was das Muster verstärkt. Langfristig jedoch bleibt die eigentliche Ursache unangetastet. Dies hat negative Auswirkungen auf den betroffenen Menschen.
Die Beziehung endet nicht, weil sie falsch war, sondern weil sie zu nah wurde. Oft endet sie gerade deswegen, weil sie gut, gesund und ruhig war. Bedingungslose Liebe ist etwas Stilles und Subtiles - das Gegenteil von Drama und emotionalen Achterbahnfahrten, was Menschen mit Bindungstraumen oft brauchen.
Was diese Trennungen nicht bedeuten
Es ist wichtig, diese Dynamik richtig einzuordnen:
- Sie bedeutet nicht, dass keine Liebe vorhanden war.
- Sie bedeutet nicht, dass Bindung unmöglich ist.
- Sie bedeutet nicht, dass die „richtige Person“ fehlt.
Oft fehlt nicht der passende Partner, sondern die innere Sicherheit, die nicht reguliert und hergestellt werden kann.
Der Weg zu stabiler Bindung
Heilung bedeutet nicht, nie wieder Angst in Beziehungen zu empfinden. Sie bedeutet, Angst zu erkennen, zu regulieren und nicht mehr automatisiert die Flucht zu ergreifen. Auch bedeutet sie, Verantwortung für Disregulierung zu übernehmen und Bindungssicherheit zu trainieren. Dies kann mehrere Jahre an Zeit in Anspruch nehmen.
Dabei helfen:
- Psychotherapie oder bindungsorientierte Traumatherapieverfahren
- bewusste Arbeit mit dem Autonomen Nervensystem
- langsame, sichere Beziehungserfahrungen
- das Erlernen von emotionaler Selbstregulation
Mit der Zeit kann sich das Erleben verändern. Ruhe wird nicht mehr als Bedrohung empfunden, sondern als Sicherheit.
Wie sich Liebe nach der Traumaintegration entwickeln kann
Liebe nach der Integration von Trauma ist oft:
- leiser
- weniger spektakulär
- weniger dramatisch
Aber sie ist auch:
- stabiler
- ehrlicher
- tiefer
- ruhiger
- erfüllender
- bereichernder
- nachhaltiger
- wachstumsorientierter
Sie zeigt sich nicht in ständiger Aufregung, sondern in der Fähigkeit, zu bleiben – auch wenn es ungewohnt ruhig wird.
Fazit
Wenn traumatisierte Menschen eine Beziehung beenden, sobald die Verliebtheit endet, ist das selten ein Zeichen von Lieblosigkeit. Es ist meist ein Ausdruck eines disregulierten Körpers und Autonomen Nervensystems, das Nähe noch mit Gefahr verwechselt.
Verliebtheit füttert, das vertraue Elend, das Drama, die innere Spaltung, die Sucht nach Endorphinen, Adenralin usw.
Tiefe Bindung fordert zur Weiterentwicklung und zum Wachstum.
Der Weg von einem zum anderen ist lernbar – aber er braucht Zeit, Bewusstsein, den Willen zum Lernen und Empathie für sich selbst und andere.
Podcast von Dami Charf: "Wie Trauma zu Drama führt - und was Sucht damit zu tun hat"
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