Augenkontakt und Trauma

Florian Friedrich • 8. Februar 2024

Warum Blickkontakt so schwer sein kann

Wollen wir in einer Psychotherapie Veränderungsprozesse anstoßen, so brauchen wir Momente der Stille, des Schweigens, der rechtshemisphärischen und nonverbalen Kommunikation und die bewusste Arbeit mit Augenkontakt.

Augenkontakt nach Traumatisierungen

Frau A. sitzt mit gehemmtem Blick in meiner Praxis. Ihre Augen huschen hektisch und voller Angst hin und her. Immer wieder kommen ihr die Tränen, wobei sie zugleich lacht. Auf einmal geht ihr Blick ins Leere und sie dissoziiert.


Her B. zieht mich als Psychotherapeut mit seinen übergriffigen Blicken förmlich aus und wird dabei sexuell übergriffig. Sein Blick ist mir unangenehm. Ein paar Stunden später fragt er gegen Ende der Therapiesitzung, ob ich Lust hätte, mit ihm auf ein Bier zu gehen. Ich bin nicht überrascht.


Frau C. hingegen sieht ständig auf den Boden und kann Augenkontakt nicht aushalten. Sie leidet unter schwerem Autismus, und ich komme ihr entgegen, indem ich immer seitlich an ihr vorbeisehe. Denn jeder Augenkontakt löst bei Frau C. Hochstress aus und sie fällt aus dem Toleranzfenster. Auf diese Weise lernt Frau C. im Rahmen von vielen Stunden mehr Vertrauen zu mir.


Alle drei Menschen haben eines gemeinsam: Sie haben in ihren ersten 15 Lebensjahren schwere psychische und emotionale Traumatisierungen erlebt, z.T. auch körperliche und sexuelle Gewalt. Alle sind komplex traumatisiert.


Warum ist Augenkontakt für Menschen mit Traumen so beängstigend?

Über die Augen und den Blick erleben viele Menschen Beschämungen.

Pädagog*innen rügen Kinder und machen ihnen Vorwürfe, wenn sie dem Gegenüber nicht in die Augen sehen. Oft wird ihnen dann auch unterstellt, dass sie lügen oder unhöflich seien.

So musste die oben vorgestellte Frau C. während ihrer gesamten Schulzeit immer wieder Mobbing durch ihre Schulkolleg*innen erleben und wurde von ihren Lehrer*innen bloßgestellt und gerügt, weil sie Blickkontakte nicht erwidern konnte und vor lauter Angst verstummte, wenn ihr jemand in die Augen sah. Diese schwere psychische Gewalt hat in ihrer Seele tiefe Narben hinterlassen.

Video: "Trauma und Augenkontakt"

Warum ist Augenkontakt ambivalent für uns?

Doch es braucht gar keine traumatischen Erfahrungen, damit wir Augenkontakt als gefährlich erleben. Denn für alle Menschen ist Augenkontakt auch etwas Alarmierendes. Aus einer evolutionsbiologischen Sicht haben wir noch immer den Körper und die Psyche der Steinzeitmenschen. D.h. wir sind nicht nur Jäger und Sammler, sondern auch Beutetiere. Wenn wir von einem Fressfeind angestarrt und fixiert werden, so spüren wir das und bekommen Fluchtimpulse. Wir fühlen uns also durch das Anstarren bedroht.

Zudem haben wir wie Raubtiere unsere Augen nicht seitlich, sondern nach vorne ausgerichtet. Das macht unseren Blick für andere Tiere und Menschen grundsätzlich gefährlich.

Übrigens: Hunden soll man bekanntlich nicht zu lange in die Augen blicken, da sie sich dadurch bedroht fühlen können und dann zum Angriff übergehen.


Des Weiteren ist Augenkontakt immer etwas sehr Intimes und mit viel Energie aufgeladen.

Wenn mich etwa ein Mensch lüstern ansieht und ich das nicht möchte, dann erlebe ich das als übergriffig. Sexualisierte Gewalt beginnt beim Blick und findet damit über die Augen statt, wenn jemand seine sexuelle Energie auf mich richtet, obwohl ich diese nicht haben will.


Zugleich erleben wir Augenkontakt als positiv. Er kann uns Sicherheit, Nähe, Kontakt und liebevolle Intimität vermitteln. Babys und Kinder brauchen diese Spiegelung in den Augen der Mutter / des Vaters unbedingt, um von ihren Eltern gesunde Bindungsmuster zu erlernen und sich gut zu entwickeln.

Augenkontakt kann somit heilsam sein. Wir spüren den liebevollen Blick unserer Mitmenschen und fühlen uns im tiefsten Innersten gesehen. Ist eine Mutter oder Bezugsperson depressiv oder psychisch krank, so fehlt dieser gute Augenkontakt, der Glanz in den Augen, die Spiegelung, und das Kind wird sehr wahrscheinlich Bindungstraumen entwickeln.

Erklärvideo: "Das Problem mit dem Augenkontakt"

Augenkontakt in der Psychotherapie und Traumatherapie

In der Psychotherapie ist es wichtig, sensibel, achtsam und bewusst mit Augenkontakt zu arbeiten. So kann ein distanzierter und forschender Blick von unseren Patient*innen als viel zu nahe, bedrohlich und übergriffig erlebt werden. Traumatisierte Menschen sind chronisch angespannt und können durch diesen Augenkontakt in den Hochstress, ins Hyperarousal oder in die Unterregung fallen. Es katapultiert sie aus dem Toleranzfenster hinaus.

Bin ich als Psychotherapeut hingegen gut bei mir, geerdet und entspannt, so kann mein Blickkontakt mein Gegenüber beruhigen, aber auch anregen, erregen und aufregen.

Mit Augenkontakt lässt sich gezielt und explizit arbeiten. Wir sollten die Bewegungsmuster unserer eigenen Augen und unsere Verhaltensmuster beim Blickkontakt gut kennen und sie unseren Klient*innen explizit machen und erforschen.

Ich selbst finde es zudem sehr entlastend, wenn ich mir oder meinen Patient*innen die bewusste Erlaubnis gebe, wegzublicken.

An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, wie wichtig es ist, in der Therapie mit Augenkontakt zu experimentieren


Fazit:

Das gesehen-Werden mit einem liebevollen Blick braucht bei Menschen, die unter den Folgen von Traumatisierungen leiden, viel Zeit, Raum und Geduld, da sie oft nach dem Schema leben: Sieh mich und sieh mich zugleich nicht!

Doch letztlich wollen wir alle gesehen werden, als der, der wir sind. Wir sind tief gekränkt, wenn wir nicht gesehen werden. D.h. wir haben immer auch Angst vor Ablehnung.

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