Das Window of Tolerance / Toleranzfenster nach Traumen

Florian Friedrich • 27. Dezember 2023

Was bedeutet das Window of Tolerance bzw. Toleranzfenster?

Das Toleranzfenster und seine Bedeutung für die Selbstregulierung

Das Konzept des „Window of Tolerance“ bzw. des "Toleranzfensters" geht auf den Professor für Psychiatrie Daniel Siegel zurück.

Wenn wir uns im Toleranzfenster bewegen, dann fühlen wir uns ausgeglichen und im Einklang mit uns selbst. Wir können dann auch schwierige Gefühle und Emotionen gut zulassen, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Wir halten unsere Metabene aufrecht, vermögen uns selbst zu beobachten, zu reflektieren und erleben Selbstwirksamkeit.

Fallen wir nach oben aus dem Toleranzfenster heraus, so erleben wir überwältigenden Stress. Wir geraten in den Kampf- oder Fluchtreflex und sind sympathikoton übererregt. Diesen Zustand bezeichnet man auch als Hyperarousal. Fallen wir in den untersten Bereich, in das Hypoarousal, so kommen wir in das Erstarren bzw. in den Totstellreflex. Sowohl im Hyperarousal als auch im Hypoarousal verlieren wir unsere Fähigkeiten zur Selbstregulierung und Selbstreflektion und sehen unsere Umwelt und unsere Mitmenschen als eine Gefahr an. Wir verlieren unsere Metaebene und Empathie.


Wenn wir, wie das bei traumatisierten Menschen meist der Fall ist, oft oder permanent aus dem Toleranzfenster herausfallen, so erschöpft uns dies im Alltag immens. Wir fühlen uns dann diesen emotionalen Achterbahnfahrten hilflos ausgeliefert. 

Was bedeutet das Window of Tolerance?

Ein breiteres Fenster bedeutet Selbstregulation

Das Window of Tolerance ist wie ein Rahmen, in dem unsere körperliche und psychische Erregung hin- und herschwingt. So lange wir dabei nicht aus dem Rahmen fallen, ist dieses Schwingen gesund und wir können uns hierbei noch gut selbstregulieren. Mit einem breiteren Toleranzrahmen vermögen wir zudem mehr Erregung und Entspannung sowie angenehme und unangenehme Emotionen gut in uns zu halten.

Habe ich ein breites Toleranzfenster, so kann ich auch eine höhere Erregung gut containen, ohne in die Hochspannung und in den schädlichen Stress zu geraten oder in die Untererregung zu fallen. Ich kann mehr Stress aushalten und regulieren als Personen, die ein schmaleres Toleranzfenster haben. Diese kommen rascher in die Über- oder Untererregung.


Wenn wir uns im Toleranzfenster befinden, dann fühlen wir uns grundsätzlich wohl und erleben unsere gesunde Erregung oder Entspannung als angenehm und lebendig. Menschen mit einem breiten Toleranzfenster können sich in vielen Situation gut und rasch selbstregulieren oder suchen die Nähe ihrer Mitmenschen, damit sie coreguliert werden. Sie gleichen Dysregulationen schnell aus und fallen nur selten aus dem Rahmen.


Im Toleranzfenster spüren wir uns gut und fühlen uns in Kontakt mit uns selbst, unserem Körper, unseren Emotionen, unseren Mitmenschen und unserer Umwelt. Wir haben Empathie für uns selbst und unser Gegenüber.

Die Schwingungen im Toleranzfenster sind verschieden, unterschiedlich und haben keine starre Frequenz. Sie können auch intensiv sein, befinden sich aber immer im Rahmen. Habe ich etwa beruflich viel zu tun oder bin auf einer Party, dann befinde ich mich im oberen Bereich des Fensters. Mein Sympathikus ist aktiviert und ich fühle viel gesunde Energie. An einem freien Tag hingegen, an dem ich es mir mit einem Fantasyroman im Bett gemütlich mache oder an dem ich Musik höre und meditiere, befinde ich mich eher im unteren Bereich des Rahmens, und es gibt weniger Ausschläge nach oben. 

Film: "Das Toleranzfenster"

Ein schmales Fenster bedeutet Dysregulation

Das Toleranzfenster ist individuell und von Mensch zu Mensch verschieden. Es wird schon durch vorgeburtliche, geburtliche und frühkindliche Lebenserfahrungen festgelegt. Das Fenster kann dabei so schmal sein, dass ich mich fast nur noch in der Über- oder Untererregung befinde.


Haben wir ein sehr schmales Toleranzfenster, so sind wir rasch dysreguliert und schießen in die Übererregung (etwa in eine Panikattacke) oder fallen von dort sofort durch das Toleranzfenster hindurch und landen in der Untererregung (etwa in Erstarrung, Taubheit, Depression oder Dissoziation). Wir fühlen weniger Lebendigkeit, Liebe, Glück und Leichtigkeit, weil wir diese Zustände, die mit einer höheren Erregung und innerer Expansion verbunden sind, nicht gut containen können und deshalb vermeiden. Auch eine tiefe Entspannung ist uns meist nicht möglich.


Traumatisierte Menschen haben ein schmales Window of Tolerance

Ein schmales Toleranzfenster ist ein typisches Traumafolgesymptom nach Bindungs- und Entwicklungstraumen.

Viele Symptome, wie Angststörungen, Depressionen, Burnout, ADHS und somatoforme Beschwerden sind Anzeichen für ein zu enges Toleranzfenster und ein dysreguliertes Nervensystem, das zu psychischen und körperlichen Beschwerden führt. Wir sollten dann immer Entwicklungstraumen im Hinterkopf behalten.


Dysregulation geht mit einem immensen Leidensdruck einher. Ich selbst habe früher darunter gelitten und war fast dauerhaft angespannt. Heute beobachte ich in meinem Freundeskreis, wie weit verbreitet Dysregulation ist.



Traumatisierte Personen fühlen sich oft unterschwellig bedroht

Ein Beispiel: Anton hat als Kind schwere körperliche und psychische Gewalt durch beide Eltern erlebt. Als Erwachsener nimmt er die Welt als einen bedrohlichen und feindlichen Ort wahr. Er bringt seinen Kindern bei, dass sie bei Konflikten mit Schulkameraden immer erst einmal zuschlagen sollten. In der Nacht kann er nur schlafen, wenn er sein Fenster und die Fensterbalken fest verschließt, und er schläft mit einem Baseballschläger unter seinem Bett. Man weiß ja nie: Es könnte ja ein Einbrecher kommen.

Diese Haltung zum Leben gefährdet Antons Ehe, schadet seinen Kindern und erschöpft ihn aufgrund der chronischen psychophysischen Anspannung.


Menschen wie Anton mit einem engen Toleranzfenster sind meist hoch funktional und pressen mit ihrer Muskulatur gegen Emotionen und hohe Erregungszustände an. Sie kämpfen permanent gegen Ängste, seelische Schmerzen und Erregung, was viel Kraft und Lebensenergie bindet und zu chronischen körperlichen Schmerzen führen kann. 

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