Die Existenzanalyse und ihr Zugang zur trans*Identität

Florian Friedrich • 20. September 2023

Was ist trans*Identität?

Trans*idente Menschen fühlen sich dem anderen Geschlecht oder beiden Geschlechtern zugehörig. Manche erleben sich auch zwischen den Geschlechtern. Trans* umfasst Menschen, die trans*gender, transsexuell, divers, genderfluid, non-binary, agender, polygender u.v.m. sind.


Lesen Sie in diesem Beitrag über den existenzanalytischen Zugang zur psychotherapeutischen Arbeit mit trans*identen Menschen.

Die Existenzanalyse und ihr Zugang zur trans*Identität

Das Echte und Authentische im Menschen - die Person

Die Psychotherapieschule der Existenzanalyse wurde vom Arzt, Psychologen und Psychotherapeuten Alfried Längle gegründet. Wesentlich für die Existenzanalyse ist, dass sie Menschen in ihren authentischen Bedürfnissen und in ihrem Spüren radikal ernst nimmt. Sie unterstützt Menschen, ihre personalen Bedürfnisse zu leben, um ein wahrhaftiges Leben mit innerer Zustimmung zu führen. Die Existenzanalyse spricht hier auch von der Person als das Echte und Gesunde im Menschen, die ganz leise zu mir spricht, was im tiefsten Innersten für mich stimmig ist.

Diesem stimmigen inneren Klang, diesem Spüren zu vertrauen und es zu leben, erfordert viel Mut und Courage, denn wenn ich beginne, mich auf mein inneres Wissen zu verlassen, in Übereinstimmung mit meinem Gespür zu leben und mit dem eigenen Sein ernst zu machen, dann kann ich durchaus bei anderen Menschen anecken und mir Feinde machen.

In unserer narzisstischen Gesellschaft werden Menschen, die mit innerer Zustimmung zu ihrer Wahrhaftigkeit und Echtheit stehen und diese leben, abgewertet oder zumindest nicht validiert, ja, das Wort "Authentizität" ist in manchen Kreisen bereits zum Schimpfwort geworden (wenn auch ich hier zugestehen muss, dass es häufig als Synonym für "Selbstoptimierung" missbraucht wird).


So drohen etwa trans*Personen Diskriminierung und Stigmatisierung, wenn sie authentisch in ihrem Wunschgeschlecht leben. Es ist nicht immer risikofrei und einfach, zu sich selbst zu stehen. Denn unsere Gesellschaft zwingt uns rasch zur Anpassung, zum Leisten und zum Funktionieren. Sie belohnt noch immer Personen, die sich sozial in ihr biologisches Geschlecht einfügen, auch dann, wenn dies nicht mit ihrem Erleben übereinstimmt. Eine trans*Person steigt dann mitunter in ihrem Beruf leichter auf, wenn sie vorspielt, dass sie in ihrem biologischen Geschlecht zufrieden sei und einen Mann oder eine Frau mimt, obwohl ihr das im tiefsten Innersten wehtut und sie massiv unter diesem erzwungenen Schauspiel leidet, das eine Flucht nach vorne darstellt und ein Copingmechanismus ist. Lebt der trans*Mensch dann in seinem Wunschgeschlecht, so drohen im Mobbing und psychische Gewalt. Der Wert des persönlichen Erlebens wird in unserer Zeit und Kultur wenig validiert oder hochgeschätzt.

Kinder spüren oft noch intuitiv ihre personalen Werte, ihre Bedürfnisse und ihren Sinn im Dasein. Trans*Kinder äußern nicht selten schon im Kindergartenalter ihre Wünsche nach einem Leben im anderen Geschlecht. Dieser freie Zugang geht dann im Laufe der Erziehung und Sozialisation schnell verloren.


Der Existenzanalyse geht es um die Grundhaltung einer erfüllten Existenz. Aufgrund dieser menschenfreundlichen, zutiefst humanistischen Haltung ist gerade die Existenzanalyse ein wertvoller Zugang zur psychotherapeutischen und psychologischen Arbeit mit trans*Personen. Denn die Existenzanalyse analysiert nicht, pathologisiert und deutet wenig, sondern nimmt stattdessen die individuellen Bedürfnisse ihrer Klient*innen und Patient*innen absolut ernst, hier das Bedürfnis nach einem personalen Leben im anderen Geschlecht oder zwischen den Geschlechtern.

Filmtipp: "Mein Leben als Transmann | Wie ist es trans* zu sein?"

Phänomenologie

Eine wesentliche Haltung und Methode der Existenzanalyse ist die Phänomenologie. Diese stellt einen Ansatz aus der Erkenntnisphilosophie dar, der von Alfried Längle für die Psychotherapie der Existenzanalyse adaptiert wurde. Phänomenologie erfordert von dem Psychotherapeuten*/der Psychotherapeutin*, dass diese*r alles Vorwissen, alle Deutungen, jegliche Vorannahmen, aber auch allgemeine psychologische Konstrukte und Erkenntnisse einklammert und sich auf das Verstehen, die Wesensschau, das Erfassen des Wesentlichen einer Situation und auf das Wesen der Person und ihrer Bedürfnisse fokussiert.

In dieser Grundhaltung werde ich völlig offen, respektvoll, demütig, achtsam und durchlässig meinen Gesprächspartner*innen gegenüber und versuche, das Echte, das tiefste Innerste, Wahrhaftige und Freie im Menschen zu bergen, seine Person.

Dabei ist Phänomenologie immer voraussetzungslos, weil ich alles Vorwissen, aber auch Interpretationen, Pathologiemodelle, Erklärungen und Deutungen beiseite stelle. Es geht dann um das, was mich von meinem/meiner Klienten*/Klientin* berührt, was mich erreicht und bewegt, was in mir mitschwingt und zu einer Resonanz in mir führt, um das, was mir als wesentlich erscheint, mich persönlich anspricht. Nur auf diese Weise können wir der Person des/der anderen wahrhaft gerecht werden.

Wenn etwa trans*Identität als Pathologie, als psychische Erkrankung oder als Traumafolgestörung abgewertet wird, dann widerspricht dies dem Menschenbild der Existenzanalyse und der Phänomenologie, die sich dafür interessiert, wie sich eine trans*Person erlebt und was im tiefsten Innersten ihre Bedürfnisse sind. Wird etwa trans*Identität auf ein Trauma zurückgeführt, so erachtet die Existenzanalyse dies als reduktionistisch, da diese Pathologisierung einen trans*Menschen und sein personales Spüren und Fühlen nicht ernst nimmt und seinen echten Bedürfnissen nach einem Leben im anderen Geschlecht nicht gerecht wird.


Somit stellt die Existenzanalyse einen außergewöhnlichen Zugang zur Arbeit mit trans*Personen dar, sei es im Rahmen einer psychologischen Coming-Out-Beratung, eines Coachings oder einer Psychotherapie. Sie fordert von uns Psychotherapeut*innen, Berater*innen und Coachs, dass wir das personale, authentische Spüren unserer Klient*innen und Patient*innen immer radikal ernst nehmen. Jede Pathologisierung der trans*Identität verbietet sich dann, denn wenn ein Mensch sich selbst als trans* spürt, seine Identität ernst nimmt, er beginnt, authentisch im anderen Geschlecht oder zwischen den Geschlechtern zu leben, dann kann dies niemals krank, pathologisch oder eine psychische Störung sein. Genau das Gegenteil ist der Fall: Die betroffene Person ist nun gesund, sie wird ganz und heil, sie lebt ihr Eigenes, ihr wahrhaftiges Dasein, und sie findet Sinn in ihrem Leben.


Trans*Identität ist ein gesundes Phänomen

Es gibt zwar das Phänomen, dass immer mehr in ihrer Identität unsichere Menschen behaupten, trans* zu sein, um irgendeinen identitätsstiftenden Halt im Leben zu finden oder einer Subkultur anzugehören, wobei wir uns dann als Psychotherapeut*innen diagnostisch zurückhalten sollten und von körpermodifizierenden Maßnahmen zur Angleichung an das Wunschgeschlecht abraten müssen. Dieses Phänomen soll allerdings nicht davon ablenken und darf auch nicht dazu missbraucht werden, die authentische trans*Identität in Frage zu stellen oder anzuzweifeln.

Trans*Identität ist nämlich personal verankert und eine Spielart der Vielfalt von Menschsein und Identität. Somit ist trans*Identität auch niemals eine Mode oder ein hysterischer, narzisstischer Hype, wie von trans*negativen, reaktionären und christlich-fundamentalistischen Kreisen gerne behauptet wird.


Leider sind wir weit davon entfernt, eine Gesellschaft zu sein, welche Verständnis für das Wesenhafte, Personale und Wahrhaftige im Menschen hat, hier die trans*Identität. Es gibt wenig Respekt für die Einzigartigkeit eines jeden Menschen. So wird auch in der Psychologie und Medizin mit einem narzisstischen Absolutheitsanspruch trans*Identität noch immer als eine schwere psychische Störung pathologisiert. Jeder Respekt vor dem Personalen und Echten geht hierbei verloren.

Als Existenzanalytiker*innen sollten wir uns stets darum bemühen, den/die andere*n in seiner/ihrer Weise sein, fühlen, denken und spüren zu lassen, die ganz anders sein kann als meine Weise, die Welt zu erleben. Ich muss dann als cis (gendereuphorischer) Mann nicht nachvollziehen können, wie es ist, trans* zu sein, sondern mich einfach nur vom Gegenüber in seiner Echtheit berühren lassen. Diese Haltung erfordert Demut, denn ich habe kein Recht, es einem trans*Menschen aufzuzwingen, wie er zu sein und zu fühlen hat. Dies wäre Gaslighting und somit psychische Gewalt.



 Hier finden Sie meine Arbeit "Existenzanalytische Zugänge zum Phänomen der trans*Identität "

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